Samstag, 24. Januar 2009
 
Brasilien: Keine Gnade für Landbesetzer PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Andreas Behn   
Dienstag, 30. Januar 2007

Landreform war eines der zentralen Wahlversprechen von Präsident Lula da Silva. In seiner ersten Amtszeit wurde kaum Land verteilt, trotzdem rief die Landlosenorganisation MST zu seiner Wiederwahl auf. Aber die Behörden verzögern und blockieren. Deswegen organisieren die Landlosen wieder zunehmend Besetzungsaktionen.

(Rio de Janeiro, 29. Januar 2007, npl).- Diesmal traf es Landlose im zentralbrasilianischen Bundesstaat Goiás. Früh morgens stürmten an die Hundert Polizisten das gerade erst errichtete Barackenlager, schossen in die Luft und kesselten die 600 Familien ein. Obwohl niemand Widerstand leistete, gingen die Beamten äußerst brutal vor, trennten zuerst Männer und Frauen, um schließlich einige Männer, die als Rädelsführer bezeichnet wurden, zu schlagen und zu fesseln.

Erst als Stunden später Vertreter der lokalen Behörden und Menschenrechtler eintrafen, ließ sich die Polizeiführung auf  Verhandlungen ein. Nur wenige der Landlosen hatten aus dem Kessel fliehen können, um die Presse und Genossen der Landlosenbewegung MST (Movimento dos Trabalhadores Sem Terra) zu alarmieren. „Die Situation ist sehr angespannt, und die Landarbeiter sind vollkommen
eingeschüchtert“, erklärte die MST-Sprecherin Lucinéia Medeiros nach Gesprächen mit denen, die der Umzingelung entfliehen konnten.

Erst vor kurzem waren die 600 Familien zur Finca Sete Rios gezogen, nachdem sie aus Angst vor Repressalien eine andere Landbesetzung 20 Kilometer entfernt aufgegeben hatten. Beide Ländereien liegen seit Jahren brach und werden nicht mehr landwirtschaftlich genutzt. Doch obwohl die Agrarreform-Behörde Incra bereits die Enteignung eingeleitet hat, kommt der Prozess nicht voran, der den Landlosen eine Existenzchance bieten würde.

Statt dessen kam es Ende vergangener Woche zur Räumung ohne jeden Rechtstitel. Die Polizei nannte als Grund der Aktion, die Landlosen hätten bei ihrer vorherigen Besetzungsaktion geplündert. „Ein willkürliches Vorgehen,“ kritisiert MST-lerin Medeiros. „Der Vorwurf der Plünderung ist nichts weiter als ein Vorwand, um die illegale Räumung zu rechtfertigen.“

Nach ihrer Freilassung wollen die Landlosen weiterziehen in der Hoffnung, ein Stück Land zu finden, wo sie vor den Vertreibungen der Grundbesitzer geschützt sind. Sie sind nur ein Grüppchen von Hunderten, die in ganz Brasilien aktiv sind, um die schleppende Landreform voran zu bringen. Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Räumungen und auch Todesfällen, doch auch immer wieder gelingt es den im MST oder anderen Landlosen-Bewegungen organisierten Bauern, Land zu besetzen und Siedlungen zu bauen.

Nach wie vor ist Brasilien eines der Länder mit der ungerechtesten Landverteilung weltweit. Knapp zehn Prozent der Grundbesitzer verfügen über mehr als 80 Prozent des Landes. Gleichzeitig besitzen knapp fünf Millionen Familien kein eigenes Land. Mittlerweile haben sich an die 250.000 Familien durch Landbesetzungen und deren Umwandlung in legale Siedlungen eine Existenzgrundlage schaffen können.

Die Hoffnung, dass sich unter der Präsidentschaft des Ex-Gewerkschafters Inácio Lula da Silva die Agrarreform beschleunigen würde, hat sich nicht erfüllt – im Gegenteil, in seinen ersten vier Amtsjahren nahm die Zahl der Ansiedlungen nicht einmal zu. Auch zu Beginn von Lulas zweiter Amtszeit gibt es kaum Grund für Optimismus auf Seiten der Landaktivisten. Die Mittel, die der Agrarreform in 2007 zur Verfügung
stehen, stiegen gerade mal um 0,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Trotz der politischen Nähe zwischen Lulas Arbeiterpartei PT und dem MST kündigten die Aktivisten bereits an, den Druck sowohl politisch wie auf der Straße zu erhöhen.

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